Public Policy 2.0

Von New Public Management zu Public Policy 2.0

Seit mehreren Jahrzenten werden mit New Public Management, dem neuen Steuerungsmodell, wirkungsorientierter Verwaltung, Digital-era governance und der Idee der Netzwerk-Gesellschaft unsere Grundüberzeugungen vom Gemeinwohl und Staatlichkeit aufgeweicht und schleichend ersetzt. Public Policy, die Frage nach wie wir Gemeingüter bereitstellen können wird immer öfter als ein Thema für nichtstaatliche Organisationen gesehen. Wirkungsorientierung führt zu einer Beweislastumkehr bezüglich der Generierung von öffentlichem Nutzen. Der Staat muss jetzt begründen, warum er in Bereichen aktiv ist, in denen er schon immer aktiv war, egal ob Strom, Licht, öffentlicher Nahverkehr oder selbst in der äußeren Sicherheit.

Unser Verständnis von Staatlichkeit ist seit dem 17. Jahrhundert durch den Gesellschaftsvertrag geprägt. Der Gesellschaftsvertrag stand für institutionelle Verstetigung, Bindung der Bürger an den Staat, Legitimierung der Repräsentanten durch die Repräsentierten und einen klarem Staatsauftrag bezüglich der Generierung von Gemeinwohl. Hobbes analysierte im Leviathan kein historisches Phänomen, sondern er kreierte mit dem Vertrag ein neues Bild des Zusammenlebens, das die Idee des (Volks)körper als Träger des Gemeinwohls ablöste. Damit veränderte er erst unmerklich, dann radikal die Governance-Strukturen der meisten Staaten.

Was passiert, wenn plötzlich neue Instrumente, wie Wikis, Blogs, Mash-ups (Kombinationen aus Visualisierungen wie Google-Earth und Datenbanken), Web-Apps, und Online Communities aufkommen? Wenn Web 2.0 auf Staatlichkeit trifft?

Web 2.0 ist der Begriff, der eine Reihe von Web-Applikationen zusammenbringt, die sich „familienähnlich“ sind und die den Nutzern erlauben sehr einfach gemeinsam aktiv zu werden. Es geht um Applikationen die Nutzern erlauben eigene Inhalte bereitzustellen (facebook, flickr, blogging, etc.), an kollaborativen Projekten zu arbeiten (Wikipedia, Linux, Apache, etc.) oder politisch zu partizipieren (US amerikanische Präsidentschaftskampagne, Meetup, theyworkforyou.com, etc.).

Das Interessante ist, dass Web 2.0 das soziale Universum vergrössert, indem die Transaktionskosten Gemeingüter bereitzustellen, radikal reduziert werden. Von Ronald Coase wissen wir, dass eine Reduzierung der Transaktionskosten prinzipiell zu einer Vergrösserung der existierenden Gruppen (Firmen) führt. Neu ist, dass die Transaktionskosten so radikal verringert werden und die Gemeingüter, die dann bereitgestellt werden, kostenlos bereitgestellt werden können, dass mit „peer production“ eine Alternative zur markt-basierenden Produktion von existierenden Gruppen (Firmen) entsteht. Die schier unendliche Kreativität und Bereitschaft der Web 2.0 Community fernab der individuellen Nutzenmaximierung zu agieren, ist hinlänglich in zahlreichen Beispielen rund um die Welt bewiesen.

Die Applikationen, die unter Web 2.0 zusammengefasst werden wirken auf unsere soziale Welt in dreifacher Weise. Es können (a) Gemeingüter bereitgestellt werden, die vorher niemals bereitgestellt worden wären, da die Transaktionskosten zu hoch waren, d.h. Sie erweitern das soziale Universum (b) diese Gemeingüter treten in den Wettbewerb mit Staat, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen und (c) werden im Staat, in der Wirtschaft und im zivilgesellschaftlichen Sektor eingesetzt, um diese effizienter zu gestalten. Dieser Angriff führt zu einer Untergrabung der Geschäftsmodelle und Gesellschaftsstrukturen, wie wir sie heute kennen. Das können wir an der Plattenindustrie, beim Brockhaus Verlag, bei der Auseinandersetzung um das Thema Blogging von Soldaten im Irak, oder der Organisation der Protestmärsche für und von illegalen Immigranten in den USA schon heute erkennen.

Von seiner historischen Signifikanz kann man Web 2.0 mit der Levée en masse (frz., Massenaushebung) im ersten Koalitionskrieg 1792 vergleichen. Die Einführung der Wehrpflicht gekoppelt mit dem neuen Patriotismus der Franzosen veränderte radikal das Machtverhältnis zwischen den europäischen Staaten. Oder mit der transformativen Politik, die Martin Luther mit seinem „Blog-Eintrag“ auf der Kirchentür in Wittenberg betrieb. Es wird spannend zu sehen, wie sich unsere Gesellschaften den neuen Herausforderungen stellen, den Public Policy 2.0 ist hier.

Was sollte man lesen, wenn man sich für das Thema interessiert:

Clay Shirky, Here Comes Everybody: The Power of Organizing Without Organizations (2008).
R. H. Coase, The Nature of the Firm, Economica, New Series, Vol. 4, No. 16 (Nov., 1937), pp. 386-405
Yochai Benkler, (2006). The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. New Haven, Conn: Yale University Press.
Lessig, L. (2004).  Free Culture: How Big Media Uses Technology and the Law to Lock Down Culture and Control Creativity. The Penguin Press.
Karl Popper, The Open Society and Its Enemies. (2 Vols). Routledge, London, 1945.
Viktor Mayer-Schoenberger, David Lazer, Governance and Information Technology – From Electronic Government to Information Government, MIT Press, 2007.
Gladwell, M. (2002) The Tipping Point: How Little Things Can Make a Big Difference, Back Bay Books.
Schellong, A. (2008) “Government and Web 2.0”, Whitepaper, http://www.hks.harvard.edu/netgov/html/fellows_schellong_a.htm

Was sollte man anschauen, wenn man sich für das Thema interessiert (in google eingeben):

Michael Wesch’s “Web 2.0… the Machine is Us/ing Us on Youtube
Clay Shirky’s presentation of Here Comes Everybody at the Harvard Berkamann Center
Steal this Film II at http://www.stealthisfilm.com/Part2/
Larry Lessig’s Final Free Culture Talk at http://www.opensourcecinema.org/lessigfinal
European Commission http://www.epractice.eu/home
Harvard blog http://www.iq.harvard.edu/blog/netgov/

Was sollte man ausprobieren:

Einen Wikipedia-Artikel verbessern oder schreiben
Einen Comment zu einem Blog schreiben
Mitglied bei Techdirt werden
Ubuntu 8.04 ausprobieren
Basecamp nutzen
Eine Facebook Group gründen

Events:

Public Policy 2.0 Workshop in Erfurt im Sommer (Informationen unter www.publicpolicy20.org)
Government 2.0 Kurs (Videos und Comments online, unter www.philippmueller.de/government.htm)

About Philipp

Philipp Müller works in the IT industry and is academic dean of the SMBS. Author of "Machiavelli.net". Proud father of three amazing children. The views expressed in this blog are his own.

02. May 2008 by Philipp
Categories: Blog | Comments Off on Public Policy 2.0